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History of Emotions - An Interview with Derek Penslar (In German)

September 9, 2020

History of Emotions - An Interview with Derek Penslar (In German)

September 9, 2020
in Jüdische Geschichte & Kultur

An interview with CES Resident Faculty Derek Penslar about his upcoming book “Zionism: An Emotional State.” The interview was conducted in German by Ivonne Meybohm, assistant to the director at the Dubnow-Institute in Leipzig.


Der ›emotional turn‹ ist nicht neu, nahezu jeder Teilbereich der Geschichte ist in den letzten Jahren von ihm berührt worden. In gewisser Weise scheint es sehr naheliegend, die Entwicklung des Zionismus in emotionsgeschichtlicher Hinsicht zu be-trachten, da nationale Bewegungen ausgesprochen stark mit Gefühlen verbunden sind. Umso mehr verwundert es, dass die Zionismusforschung bisher kaum auf den ›emotional turn‹ re-agiert hat. Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?


Obwohl die Emotionsgeschichte ein etabliertes Feld ist, hat sie nicht nur im Fall des Zionismus, sondern generell auf Forschun­gen zu Nationalismus seltsamerweise bislang kaum Einfluss ge­nommen. Sie haben gewissermaßen aneinander vorbeigeredet. Emotionsgeschichte befasst sich häufig mit dem Individuum, nicht mit Kollektiven, und selbst Arbeiten über kollektive poli­tische Emotionen betreffen eher negative Gefühle gegenüber an ­deren, etwa Angst, Abneigung und Hass, als positive Gefühle wie Liebe und Zuneigung, die für den Nationalismus wesentlich sind.


Hinzu kommt, dass die zionistische Geschichtsschreibung bis heute mit Begriffen und Konzepten arbeitet, die zionistische Denker und politische Führungspersönlichkeiten vom späten 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts geschaffen haben. Sie dienten dazu, den Zionismus als eine in sich stimmige Weltanschauung oder eine auf bewusstes Handeln gerichtete Bewegung darzustellen, um der jungen Nationalbe­wegung, die in weiten Teilen der jüdischen Welt als fragwürdig, wenn nicht gar skandalös betrachtet wurde, eine Form von Legitimation zu verleihen. Wir müssen hinter das von unseren Quellen suggerierte Bild des Zionismus zurücktreten und ihn – wie andere Nationalbewegun­gen – als ein Projekt wahrnehmen, das in einem breiten emotionalen Kontext verankert ist.Zur Frage, wie ich auf das Projekt gekommen bin: am Mittagstisch der Fakultätsmitglieder des St. Anne’s College an der Oxford University, wo ich bis zu meinem Wechsel nach Harvard mehrere Jahre gelehrt habe. Dort lernte ich Todd Hall, einen neuen Kollegen aus dem Fachbereich Internationale Beziehungen kennen, der zu Emotionen in der Staats­führung arbeitete. Ich begann einige seiner Publikationen zu lesen und fand sie ausgesprochen erhellend. Daraufhin nahm ich mir die entspre­chende Literatur aus der Perspektive verschiedener anderer Diszi­plinen vor – Politikwissenschaft, Soziologie, Psychologie und natürlich Geschichte. Im vergangenen Semester habe ich ein Seminar für Dok­torandinnen und Doktoranden zum Thema angeboten. Insofern hoffe ich, nun über die erforderlichen Werkzeuge zu verfügen, um mich an ein Buchprojekt über die Emotionsgeschichte des Zionismus zu wagen.


Verschiedene Aspekte der jüdischen Geschichte sind sehr eng mit Emotionen verbunden. Entsprechend treten sie seit Langem als Teil von Studien zu Gedächtnis und Erinnerung wie auch Antisemitismus in Erscheinung. Indirekt berühren sie also bereits Forschungen zum Zionismus. Worin liegt der Vorteil, sich ihm mit Methoden der Emotionsforschung zu nähern? Welchen Mehrwert bietet diese Herangehensweise für die Jewish Studies? Wie verändert sie die gegenwärtige Forschung und möglicherweise auch Ihre eigene?


Manche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befassen sich mit Gefühlen als solchen und untersuchen dann spezifische Fälle, um die Allgemeingültigkeit ihrer Thesen zu überprüfen, andere spezialisieren sich auf einen bestimmten Bereich und schauen dann, was die Metho­dik der Emotionsgeschichte dazu beitragen kann. Ich gehöre zur zwei­ten Gruppe. Ich bin weiterhin genauso sehr Historiker der modernen jüdischen Kultur wie bislang, aber statt mein Thema durch das Prisma der Wirtschaftsgeschichte zu betrachten, wie in meinem Buch Shy­lock’s Children, oder durch das der Sozial­ und Kulturgeschichte, wie in Jews and the Military, schöpfe ich nun aus Erkenntnissen der Emo­tionsgeschichte. Dadurch wird deutlich, welch tragende Rolle Gefühle für politische Bewegungen wie den Zionismus spielen. Wir erkennen, dass sie eine treibende Kraft für die Entwicklung der Bewegung sind und nicht als nachrangig oder gar als Nebenprodukt gelten können. Ideen spornen nicht an, wenn sie kein emotionales Bedürfnis befrie­digen; um Handlungen auszulösen und Handeln aufrechtzuerhalten, sind Gefühle erforderlich. So entstand auch der Zionismus aus einer Mischung von positiven Empfindungen wie Liebe, Hoffnung, Sehnsucht und Stolz einerseits und negativen wie Angst, Beklemmung, Schuld und Hass andererseits.


Lassen Sie mich an einem konkreten Beispiel verdeutlichen, wie der Fokus auf Emotionen unser Verständnis des Zionismus verändert. 1948 spendeten Jüdinnen und Juden in den Vereinigten Staaten 150 Millio­nen Dollar für Israel. Das war eine enorme Summe, der heute 1,5 Milli­arden Dollar entsprechen würden. Sie spendeten dieses Geld nicht, weil sie Zionisten waren – die meisten gehörten keiner zionistischen Orga­nisation an und teilten keine entsprechenden Überzeugungen. Aber sie waren überwältigt von Angst um die Existenz Israels, von Mitgefühl für Überlebende des Holocaust und von Schuldgefühlen, weil sie vor dem Krieg nicht mehr für die Rettung der europäischen Juden getan hatten. Eine besondere Verbindung von Angst, Mitgefühl und Schuldgefühlen hat seitdem immer das Motiv für die amerikanisch­jüdische Unterstüt­zung Israels gebildet, und in dem Maße, in dem der emotionale Appell Israels schwächer wird, lässt auch diese Unterstützung nach.


Welche Herausforderungen birgt der ›emotional turn‹ für die jüdische Geschichte und besonders für die Historiografie des Zionismus?


Zunächst einmal bringt der emotional turn als solcher zahlreiche He­rausforderungen mit sich. Die Emotionsgeschichte ist das einzige mir bekannte historiografische Feld, dessen grundlegenden Begriffen es an klaren und konsistenten Definitionen mangelt. Wenn wir eine seriöse Forschung über Gefühle betreiben wollen, müssen wir uns darüber ver­ständigen, was Gefühle sind und wodurch sie sich (wenn überhaupt) von Empfindungen und Affekten unterscheiden. Wir müssen das Ver­hältnis zwischen den verschiedenen Formen von Emotionen klären und sollten beim Quellenstudium die jeweiligen kulturellen Besonder­heiten des Sprechens über Gefühle im Kopf behalten. Außerdem gilt es, sich bewusst zu sein, wie der jüdische Textkanon, bestimmte As­pekte der spezifisch jüdischen historischen Erfahrung sowie (oftmals durch Klasse und Geschlecht geprägte) Normen der Umgebungskultur maßgeblich dafür sind, was Menschen sagen und wie sie dies tun. Wir sollten ein breites Spektrum an Stimmen einfangen, auch wenn ich in meiner bisherigen Arbeit festgestellt habe, dass bereits eine Relektüre kanonischer Werke von prominenten Zionisten neue Einsichten hervor­bringen kann, wenn wir ihre Verfasser als emotionale Wesen verstehen.


Der Wandteppich, hier in einem Entwurf von 1906 zu sehen, war ein Geschenk an den damaligen Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation David Wolffsohn und dessen Frau Fanny anlässlich ihrer Silberhochzeit. Die Dar stellung symbolisiert die Verbindung des zionistischen Ideals mit dem jüdischen Volk. Bei dem von Ephraim Moses Lilien gestalteten Teppich handelt es sich um die erste Arbeit der in Jerusalem neu begründeten Kunstgewerbeschule Bezalel.


In Ihrem Vortrag am Dubnow-Institut haben Sie ein bestimmtes Gefühl ins Zentrum gerückt: Liebe. Warum diese Wahl und welche weiteren Emotionen erachten Sie für die Geschichte des Zionismus als wesentlich?


Es ging mir darum, den Begriff .hibbat Z. ijon (Zionsliebe) freizulegen, der in den 1880er und 1890er Jahren jüdisch­nationalistischen Organi­sationen zugeschrieben und auch von ihnen selbst verwendet wurde. Ich war fasziniert davon, dass ein in der zionistischen Historiografie so gebräuchlicher Begriff nie wirklich erklärt worden ist. Um was für eine Liebe handelt es sich bei .hibbat Z. ijon? Bezieht sie sich auf biblische und rabbinische Formen der Liebe zwischen Gott und Mensch? Auf Konzepte romantischer Liebe des 19. Jahrhunderts? Oder ist es eine entsexualisierte, sentimentale Liebe, wie sie zwischen Familienmitglie­dern und Freunden besteht und oft auf die Nation projiziert wird? Das Kapitel, auf dem der Vortrag beruhte, befasst sich mit der Zeit des spät­osmanischen Reiches, als die jüdische Bevölkerung in Palästina noch klein und vielen Juden unbekannt war. Nach 1918 stieg die jüdische Einwanderung nach Palästina deutlich an und der Jischuw wurde ein stabileres Gemeinwesen, das durch seine jungen Arbeiterinnen und Ar­beiter und dynamischen neuen Gemeinden Energie ausstrahlte. Hibbat Zijon, so meine These, wurde nun durch etwas sehr viel Erdverbunde­neres und Erotischeres ersetzt.


Die folgenden Kapitel meines Buches führen chronologisch durch die Geschichte. Im zweiten Kapitel, das der Zwischenkriegszeit gewidmet ist, wird die Dankbarkeit der Zionisten gegenüber der internationalen Gemeinschaft im Allgemeinen und den Briten im Besonderen als ein Zeichen ihrer Abhängigkeit betrachtet. Doch diese Dankbarkeit bein­haltet ein Potenzial für das Gefühl, verraten worden zu sein, das in der zionistischen Bewegung von 1929 bis 1948 und darüber hinaus ein starkes wiederkehrendes Motiv werden sollte. Das dritte Kapitel, auf das ich eben schon hingedeutet habe, untersucht die symbiotische Be­ziehung zwischen Angst, Mitgefühl und Schuldgefühlen, die der Unter­stützung des jungen Staates Israel durch die Diaspora von 1948 bis zum Oslo­Abkommen von 1993 zugrunde liegt. Das letzte Kapitel befasst sich dann mit Hass – insbesondere mit dem Hass auf Araber im Zionismus.Ungeachtet der Spannungen und Feindseligkeit zwischen Juden und Arabern in der spätosmanischen Phase und der Mandatszeit sowie später im Staat Israel und den besetzten Gebieten hieß bis zur zweiten Intifada in den frühen 2000er Jahren kaum eine Führungspersönlichkeit der zionistischen Bewegung oder des Staates Israel Hass auf die Paläs­tinenser gut. Bis zu diesem Zeitpunkt hielt die israelische Regierung Hass aus ihrem emotional regime heraus, wie William Reddy das Set von Normen bezeichnet hat, die den öffentlichen Ausdruck von Gefüh­len regulieren. Die zweite Intifada bewirkte jedoch eine Veränderung dieses emotional regime und damit der Normen dafür, wie ein akzep­tabler Diskurs über die im Kernland oder in den besetzten Gebieten lebenden Araber geführt wird.


Was planen Sie für die Zeit nach der Fertigstellung Ihres Projekts ›Zionism. An Emotional State‹? Wollen Sie weiter zum Zionismus und zum ›emotional turn‹ forschen?


Ich finde es sehr attraktiv, für jedes Buch einem anderen methodischen Ansatz zu folgen. Nach „Zionism. An Emotional State“ würde ich die Perspektive gerne nochmals wechseln und mich den Herausforderun­gen der Globalgeschichte stellen – die sich von der transnationalen und komparativen Geschichte, die mich früher beschäftigt hat, unter­scheidet. Ich würde gerne eine Globalgeschichte des Krieges von 1948 schreiben, die unser Augenmerk von den Ereignissen in Israel bezie­hungsweise Palästina hin zu der Frage verschiebt, wie die internationa­le Gemeinschaft, die neu entstehenden Staaten und die antikolonialen, nach einem eigenen Staat strebenden Akteure rund um den Globus von dem Konflikt in Bann gehalten wurden. Allerdings wird es eine gewisse Kontinuität zu meinem aktuellen Projekt geben, denn auch im folgen­den Buch soll es um die Rolle gehen, die Sympathisanten auf beiden Seiten als Geldgeber, politische Unterstützer oder freiwillige Kämpfer gespielt haben. Auch die internationale öffentliche Meinung, die stark geprägt war von emotionalen Reaktionen auf den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust sowie von arabischen und muslimischen Ansprü­chen auf Palästina, werde ich darin untersuchen.


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Ivonne Meybohm ist wissenschaftliche Referentin der Direktorin am Dubnow-Institut. 2009 veröffentlichte sie eine Studie über den Jüdischen Wanderbund Blau-Weiß, 2013 erschien ihre Dissertationsschrift zu David Wolffsohn und der Geschichte der frühen Zionistischen Organisation von 1897 bis 1914.


Derek Penslar ist William Lee Frost Professor of Jewish History an der Harvard University. Er forscht zur Geschichte des europäischen Judentums in der Moderne, des Zionismus und des Staates Israel. 1991 erschien seine erste Monografie, ›Zionism and Technocracy. The Engineering of Jewish Settlement in Palestine, 1870–1918‹. In weiteren Publikationen beschäftigte sich Penslar unter anderem mit wirtschaftsgeschichtlichen (›Shylock’s Children. Economics and Jewish Identity in Modern Europe‹, 2001) und militärhistorischen Fragen (›Jews and the Military. A History‹, 2013). Vor Kurzem erschien sein Buch ›Theodor Herzl. The Charismatic Leader‹ (2020). Er ist Mitherausgeber des ›Journal of Israeli History‹ und Präsident der American Academy for Jewish Research.

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