Daniel Ziblatt und Michael Koß gehören zu den profiliertesten Demokratieforschern der Gegenwart. Ziblatt ist Eaton Professor of the Science of Government an der Harvard University, sein Buch "Wie Demokratien sterben" (2018) wurde zum internationalen Bestseller. Koß ist Professor für das Politische System der Bundesrepublik Deutschland und der EU an der Leuphana Universität Lüneburg, in seinem letzten Buch "Parliaments in Time" (2018) beschäftigte er sich mit der Entwicklung westeuropäischer Demokratien von 1866 bis 2015.
Jetzt will der neu gewählte Ministerpräsident von Thüringen, Thomas Kemmerich, also zurücktreten, den Landtag auflösen und Neuwahlen herbeiführen. Er wolle den "Makel der Unterstützung durch die AfD" vom Amt des Ministerpräsidenten nehmen. Ob Neuwahlen kommen, ist angesichts der erforderlichen Zweidrittelmehrheit ungewiss. Und egal, wie diese Situation ausgeht: Der Schaden ist bereits geschehen. Der Handschlag von Thomas Kemmerich und Björn Höcke hat die politische Ikonografie der Bundesrepublik um ein Motiv reicher gemacht.
Neu ist dabei, dass dieses Motiv in einer direkten Kontinuität zur autoritären Vergangenheit Deutschlands steht. In den sozialen Medien kursieren Fotos, die Höcke und Kemmerich neben dem historischen Handschlag von Adolf Hitler und Paul von Hindenburg am 21. März 1933 zeigen, dem sogenannten Tag von Potsdam. Damals wertete der gemeinsame Auftritt mit dem etablierten Reichspräsidenten den neu gewählten Reichskanzler auf. Nach der Ministerpräsidentenwahl war es der AfD-Landesvorsitzende, der sich zumindest für kurze Zeit als Königsmacher fühlen durfte.
Die ikonografische Ähnlichkeit ist nicht die bemerkenswerteste Parallele zwischen heutigen und vergangenen Ereignissen, und dabei steht nicht weniger als die Geschäftsgrundlage der bundesdeutschen Demokratie auf dem Spiel. Sie hatte immer darin bestanden, sich klar von potenziell verfassungsfeindlichen Parteien abzugrenzen. Insbesondere die Union war stets darauf bedacht, Parteien am rechten Rand zu absorbieren, anstatt mit ihnen zu paktieren. Der von Björn Höcke angeführte Flügel, mit dem CDU und FDP in Thüringen offenbar gemeinsame Sache machen, wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Bis zum 5. Februar 2020 hat sich noch keine Partei in Deutschland von einer anderen (Landes-)Partei in ein Regierungsamt wählen lassen, deren Vorsitzender gerichtsfest als "Faschist" bezeichnet werden darf.